07 Dez 2020
Dezember 7, 2020

Nachholbedarf beim Bundestagsfahrdienst

Es gibt keinen Tarifvertrag und auch ansonsten ist vieles nicht geregelt beim Fahrdienst des Deutschen Bundestages.

Dies erfuhr ich bei vielen Gesprächen mit den Fahrerinnen und Fahrern des Bundeswehr-Fuhrparks, die uns Abgeordnete immer zuverlässig in Berlin bewegen. Da ich vor allem die niedrige Bezahlung für nicht gerechtfertigt halte, habe ich die nachfolgende schriftliche Anfrage an die Bundesregierung gestellt (hier zur Anfrage und zur Antwort).

Es freut mich, dass die Berliner Morgenpost aufgrund meiner Anfrage tiefer recherchiert und die Missstände in ihrer Berichterstattung aufgegriffen hat.

Dem Redakteur Joachim Fahrun ein herzliches Dankeschön hierfür. Ich hoffe, dass sich für unsere Fahrer dadurch bald etwas zum Positiven verändert!

Hier der Artikel:

Abgeordneten-Chauffeur: Shopping-Touren ins KaDeWe

140.000-mal fordern Bundestagsabgeordnete im Jahr die Limousinen des Fahrdienstes an. Fahrer berichten von merkwürdigen Touren.

Berlin. Neulich hat ihn ein Radfahrer angepöbelt, als er mit seiner schwarzen Limousine in Mitte am Straßenrand hielt. „Bonze“, schimpfte der Mann, der sich behindert fühlte. Björn Sager (Name geändert) lacht bitter: „Wenn der wüsste, dass ich am Tag zuvor beim Jobcenter war, um meinen Lohn aufzustocken“.

Der Berliner, der seinen echten Namen aus Sorge vor seinem Arbeitgeber nicht veröffentlicht sehen möchte, macht nicht irgendeinen Job. Er chauffiert seit zwei Jahren für den Fahrdienst des Deutschen Bundestages die Abgeordneten durch die Stadt. In schwarzem Anzug, mit Krawatte und blank geputzten Schuhen.

Regulär verdient er dafür etwas mehr als zwölf Euro pro Stunde. Für die häufige Nachtarbeit gibt es 25 Prozent Zuschlag, sonntags 20 Prozent. Weil er einen Teilzeitvertrag über 87 Stunden im Monat hat, bekommt Sager normalerweise rund 1100 Euro ausgezahlt. Derzeit ist es weniger.

Denn seit einem Hacker-Angriff im Sommer war die IT von Sagers Arbeitgeber durcheinander. Dabei ist der Mann nicht bei einem privaten Limousinendienst angestellt, sondern bei der Bundeswehr. Deren Tochterfirma BWFuhrparkServices GmbH mit Sitz in Troisdorf bei Bonn betreibt seit 2017 unter anderem dem Bundestags-Fahrdienst. 142.000-mal haben die Volksvertreter die von Sager und seinen Kollegen gesteuerten, meist üppig motorisierten schwarzen Fahrzeuge genutzt. Der Service steht den Abgeordneten nur in der Hauptstadt zu. In ihren Heimatwahlkreisen werden sie nicht auf Staatskosten herumgefahren.

Was der Chauffeur über das Verhalten mancher Volksvertreter berichtet, ist nicht eben schmeichelhaft. Viele behandelten die Fahrer sehr von oben herab, knauserten beim eigentlich üblichen Trinkgeld, sagt der Mann. Manche ließen sich während der Bundestags-Sitzungen zum Shoppen ins KaDeWe fahren. Der Fahrer solle dann warten, obwohl das nur für eine kurze Zeitspanne erlaubt ist und für die Rückfahrt eigentlich eine neue Tour gebucht werden müsste. Sager berichtet von Einkaufstouren durch Kudamm-Boutiquen und Ausflügen mit Champagner-Kisten zum Wannsee. Manche Abgeordnete ließen sich erst ein paar Ecken entfernt von ihrer Berliner Wohnung von der schwarzen Limousine auflesen, während ihre Nachbarn sie mit dem Fahrrad das Haus verlassen sehen.

Namen nennt er nicht, Diskretion ist Pflicht, auch wenn der Ärger groß ist. Dazu trägt auch bei, dass die Bundestags-Flotte keinen Platz hat, um sich in der Nähe des Bundestags aufzustellen und auf die Fahrgäste zu warten. Oft schon habe die Polizei ihn und Kollegen unter Androhung von Bußgeldern genötigt, die Vorfahrt am Paul-Löbe-Haus gegenüber vom Kanzleramt frei zu machen. Jetzt warten sie oft an der John-Foster-Dulles-Allee im Tiergarten auf ihre Einsätze.

Chauffeur für Bundestagsabgeordnete: Weihnachts- oder Urlaubsgeld gibt es nicht

Weil das Personalwirtschaftssystem nicht funktioniert, bekommen Sager und seine Kollegen derzeit nur den Lohn aus dem August, einem wegen der Sommerferien eher schwachen Monat. Zuschläge orientieren sich am „vorvergangenen Monat“, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Sager bekommt deshalb in den vergangenen Monaten weniger als 1000 Euro überwiesen. Weihnachts- oder Urlaubsgeld gibt es nicht.

Der Arbeitgeber stellt zwar in Aussicht, dass die Zuschläge rückwirkend nachgezahlt werden. Aber die Fahrer sind misstrauisch. Ihre Arbeitszeitkonten sind auch im Normalbetrieb mit funktionierender IT voll. Denn die Bundeswehr lässt auch Teilzeitkräfte wie Sager in den Sitzungswochen Vollzeit fahren, das sind dann schon mal Zehn-Stunden-Schichten. In der sitzungsfreien Zeit werden die Stunden dann abgebummelt. „Tariflich geregelt ist das aber nicht“, berichtet Andreas Kuhn, der bei der Gewerkschaft Verdi die Dienststellen des Bundes in Berlin betreut. Die gesamte Fuhrpark Service arbeitet ohne Tarifvertrag. „Wir wollen einen vereinbaren“, sagte der Gewerkschafter. Aber bisher sei man bei Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) noch nicht weiter gekommen.

Einen Tarifvertrag für die 250 Bundestags-Fahrer gibt es nicht

Die Bereitschaft dafür, die rund 250 Bundestags-Fahrer abzusichern, scheint begrenzt zu sein. Der Tarifvertrag für die Kraftfahrerinnen und Kraftfahrer des Bundes sei für sie „nicht anwendbar“, sagte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums der Berliner Morgenpost. Es würden aber „marktgerechte und branchenübliche Vergütungen gezahlt“. In der Berliner Chauffeur-Branche wird das nicht bestätigt. Vor der Corona-Krise, die die Unternehmen hart trifft, hätten motivierte Fahrer, die wie ihre Kollegen im Taxi meist am Umsatz beteiligt seien, oft auch 2500 bis 3000 Euro nach Hause gebracht, wie ein Firmenchef der Morgenpost sagte.

Auch das Ministerium sieht aber Handlungsbedarf bei den Bundestags-Fahrern. Im Dezember werde mit dem Gesamtbetriebsrat eine Vergütungsstruktur vereinbart. „Für sonstige kollektivarbeitsrechtliche Regelungen besteht derzeit kein Bedürfnis“, so die Sprecherin.

Sager findet das seltsam. Kürzlich habe er Bundestagsabgeordnete nach einer Sitzung gefahren, bei der es um Tariftreue-Gesetze gegangen sei, sagt er: „Ob die wussten, dass sie von einem Niedriglöhner ohne Tariflohn gefahren wurden?, fragt sich der Berliner.

„Die Zustände beim Fahrdienst sind peinlich“, sagt ein Abgeordneter

Das Klima im Staatsbetrieb sei nicht gut. Die Fluktuation sei hoch, das Verhältnis zu den Führungskräften angespannt. Die Fahrer werden überwacht, zum Beispiel, ob sie wie vorgeschrieben in Corona-Zeiten eine Maske tragen. Das berichtet Sager, das bestätigt ein Nutzer des Fahrdienstes, der einen Aufpasser mit Fotoapparat im Regierungsviertel gesehen hat. „Die Zustände beim Fahrdienst sind peinlich“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Marcus Held. Viele Volksvertreter forderten in ihren Reden „gute Arbeit“ und fänden nichts dabei, danach ins Auto von Mitarbeitern ohne Tarifvertrag und mit Billiglöhnen einzusteigen.