Gerechtes Gesundheitssystem schaffen

Nicht immer einer Meinung aber immer im Gespräch mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn

Die Menschen in unserem Land haben ein feines Gespür dafür, wenn es in unserer Gesellschaft ungerecht zugeht. Gerade in einer mit Angst verbundenen Krisensituation manifestiert sich dieses unmittelbare, intuitive Empfinden. Wer saß nicht schon einmal im Wartezimmer eines Arztes und durfte erleben wie andere Personen, die wesentlich später kamen, vor einem aufgerufen wurden. Auch Menschen in meinem Umfeld, die privat krankenversichert sind, schilderten mir mehrfach bei privaten Anlässen, wie unangenehm ihnen diese Bevorzugung ist.

Ein seltener Anblick: Ein leeres Wartezimmer bei den Ärzten

Unser derzeitiges Krankenversicherungssystem zwingt viele niedergelassene Ärzte, die Privatversicherten bevorzugt zu behandeln, um das betriebswirtschaftliche Überleben ihrer Praxis sichern zu können. Etwa 90 Prozent der deutschen Bevölkerung, das entspricht über 73 Millionen, sind gesetzlich versichert, die Mehrheit davon zwangsweise aufgrund ihres sozialversicherungspflichtigen Einkommens. An dem vielbeschworenen ‚Systemwettbewerb‘ im Gesundheitswesen nehmen faktisch gerade einmal 20 Prozent der Bevölkerung teil. Dieses System widerspricht dem Solidarprinzip und somit unserem ordnungspolitischen Grundsatz fundamental.

Viele Bürger stehen im Alter bei den privaten Krankenversicherungen vor horrenden Kosten, die ihnen zuvor nicht bewusst waren. Für diejenigen, die wirklich aus der gesetzlichen Krankheitsvorsorge aussteigen, sollte daher ein verpflichtendes Beratungsgespräch eingeführt werden, in dem auch auf die Langzeitkonsequenzen hingewiesen wird. Gesundheit ist ein Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge und somit eine gesellschaftliche Herausforderung.

Deutschland als ein Land, dass im wissenschaftlich-medizinischen Bereich im internationalen Vergleich hervorragend abschneidet (Platz 20 nach einer Studie der University of Washington in Seattle von 2017), sollte diese Stärke nutzen, um alle Menschen gleichberechtigt an der hohen Qualität unseres Gesundheitssystems partizipieren zu lassen. Gerade die Corona-Krise und die geringen Fallzahlen belegen den Erfolg unseres Gesundheitssystems, aber auch die Tatsache, dass man „Fallzahlen“ aus unterschiedlichen Ländern überhaupt nicht vergleichen kann. Deshalb befürworte ich das Konzept einer einheitlichen Versicherung für alle Bürger nachdrücklich, um diese strukturelle Ungerechtigkeit zu beseitigen und ein neues, gerechteres System im Gesundheitswesen zu schaffen. Der National Health Service in Großbritannien, dem es gelingt, die medizinische Versorgung vom Gewinnstreben zu entkoppeln, könnte hierbei als Vorbild dienen. Der Ausstieg aus der Verkettung von Gesundheit und Profitorientierung bleibt ein wichtiges Ziel für die Zukunft Deutschlands.

Die Corona-Krise hat auch gezeigt, dass das Thema der Gesundheit eine ganzheitliche Betrachtung erfordert. Viele der ab März und April zeitweise eingeführten Maßnahmen waren unverhältnismäßig und inwiefern die monatelange Ausdehnung des Ausnahmezustandes in einem Rechtsstaat tragfähig ist, werden langfristig unabhängige Gerichte entscheiden müssen. Vielen Bürgern ist mittlerweile klar, dass die Bekämpfung einer neuen Krankheit nicht den Blick von den bisherigen Versäumnissen – nicht nur im Gesundheitswesen – ablenken darf. Vernunft und Augenmaß sollten die Oberhand in dieser Frage gewinnen und auch die Debatte um die Zukunft des Gesundheitssystems insgesamt stärker prägen.