Stromsperren reformieren

Zahlen Sie regelmäßig Ihre Stromrechnung? So banal diese Frage zunächst klingen mag, verbirgt sich dahinter doch ein politisches Problem von beachtlichem Umfang. Wenn die Stromrechnung nicht bezahlt wird, besteht in Deutschland die gesetzlich geregelte Möglichkeit der Energieversorger eine Unterbrechung der Lieferungen für eine bestimmte Zeit vorzunehmen. Im Jahr 2014 beispielsweise waren über 350.000 Haushalte von den sogenannten Stromsperren betroffen und rund sieben Millionen weiterer Haushalte wurde im selben Jahr eine Stromsperre angedroht. Diese Rekordzahlen führten dazu, dass die Frage des Umgangs mit Stromsperren wiederholt auf die Agenda des Bundestages rückte. Mit Blick auf die 2016 zu erwartende Steigerung der Strompreise habe ich mich in den Jahren 2014 und 2015 intensiv mit der Regulierung von Stromsperren befasst und dazu auch zwei Reden im Bundestag gehalten.

Um diese Problematik angemessen einzuordnen, muss man die Sache sowohl von der Seite der Verbraucherinnen und Verbraucher, als auch aus der Perspektive der Energieversorgungsunternehmen betrachten. Allgemein unterliegen Stromsperren klar definierten Voraussetzungen: Sie müssen mit vier Wochen Vorlauf angekündigt werden, der Vollzug ist zusätzlich drei Werktage vorab anzukündigen. Die Sperre ist außerdem nur rechtswirksam, wenn der betroffene Verbraucher nicht in Aussicht stellen konnte, seinen Zahlungspflichten auf absehbare Zeit nachzukommen. Weiter gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme, wozu einschlägige Gerichtsurteile vorliegen. Eine Stromsperre ist nicht möglich, wenn der betroffene Haushalt seinem Energieversorger und dem zuständigen Sozialleistungsträger die Zahlungsunfähigkeit glaubhaft darlegt.

Als langjähriger Kommunalpolitiker kenne ich die Situation der Betroffenen aus zahlreichen Gesprächen. Für sozial schwache Haushalte bedeutet eine Stromsperre eine erhebliche Belastung und Einschränkung des Alltags. Hierbei handelt es sich zumeist um Stromsperren über Stunden und Tage, nicht über Wochen und Monate. In den meisten dieser Fälle sollten zwar die Sozialhilfeträger die Kosten der Stromrechnung übernehmen, allerdings warten die Betroffenen oft zu lange damit, die Sozialbehörden zu kontaktieren. Wenn jemand dann nach Wochen mit mehreren Mahnungen in eine Sprechstunde des Sozialamtes geht, ist es natürlich verständlich, dass die Bearbeitung dauert.

Auch in wohnungspolitischer Hinsicht müssen hierbei die Interessen von Mietern und Eigentümern im Hinblick auf die Kostenverteilung abgewogen werden. In vielen Millionen Wohnungen in Deutschland werden Elektroheizungen betrieben. Durch Preissteigerungen und auch infolge der Umlage für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sind die Kosten kontinuierlich angestiegen. Das EEG verhindert auch die Sanierung von Quartieren, in denen die Bewohnerinnen und Bewohner ohnehin bereits jeden Euro zweimal umdrehen müssen. Dabei zeigt sich wieder: Ökologische Modernisierungen müssen sozial verträglich gestaltet werden. Deshalb sind Energieberatungen für einkommensschwache Haushalte, die über die Sozialämter finanziert werden, eine sinnvolle Maßnahme. Auch die Eigentümer der Wohnungen sind betroffen, da strombetriebene Heizungen infolge einer Stromsperre dauerhaft auskühlen können und somit die Substanz beschädigt wird.

Obwohl es bereits eine rechtliche Regelung für die Anwendung von Stromsperren gibt, ist eine Reform notwendig, damit die Anzahl der Fälle nicht weiter ansteigen wird. Der Schlüssel zur Lösung der Stromsperren-Problematik liegt in der besseren Koordinierung zwischen den kommunalen Sozialbehörden in Städte und Gemeinden einerseits und den Energieversorgern auf der anderen Seite. Wir brauchen eine gesetzliche Meldepflicht für Energiedienstleister, eine Information an die zuständige Sozialbehörde des Verbrauchers zu senden, sobald sich Zahlungsrückstände ab einem Betrag ergeben, der sich an der Entwicklung des Strompreises orientiert. Zudem sollte der Anteil der Energiekosten in der Grundsicherung dem Strompreis proportional angepasst werden. Auch der Einsatz moderner Technologie, beispielsweise in Form intelligenter Stromzähler, kann helfen, die Situation für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu verbessern. In einem reichen Land wie Deutschland muss die energetische Grundversorgung für alle Menschen, auch Familien mit Kindern und soziale Härtefälle, bezahlbar bleiben. Wer seine Rechnungen ordentlich bezahlt, darf nicht benachteiligt werden und wer wirklich finanzielle Hilfe benötigt, für den muss der Staat das Angebot zielgerichtet optimieren. Hierfür setze ich mich weiter in meiner parlamentarischen Arbeit und in den Gesprächen mit Fachverbänden und kommunalen Akteuren aus der Energiebranche ein.