Wer, wie ich, gerne die „Öffis“ (für Nicht-Berliner: die öffentlichen Verkehrsmittel in Berlin) benutzt, dem fallen die Ärmsten der Millionenmetropole leider viel zu häufig ins Auge – obdachlose Menschen.
Gelegentlich bemerkt man aber auch am späten Abend die blauen Kältebusse der Stadtmission Berlin mit ihren ehrenamtlichen Helfern, die sich mit viel Engagement um diese Menschen kümmern.
Doch was macht die Stadtmission eigentlich genau und wie funktioniert der Ablauf einer solchen dauerhaften Hilfsaktion? Fragen die ich gerne bei einem gemeinsamen Termin mit dem Vorstand der Berliner Stadtmission Pfarrer Gerold Vorländer vor Ort auf dem Campus der Berliner Stadtmission besprochen habe.
„Rund 6000 Menschen leben in Berlin ohne Obdach. Die Gründe dafür sind vielfältig wie die Menschen selbst: Schicksalsschläge, welche die Menschen aus der Bahn werfen, psychische Krankheiten, Sucht, Schulden und der resultierende Verlust der Wohnung oder einfach der Traum nach Deutschland zukommen um mehr Geld zu verdienen, der aber nicht wahr wird“, erläuterte mir Pfarrer Vorländer bei einem Rundgang auf dem Campus der Stadtmission in der Lehrter Straße hinter dem Berliner Hauptbahnhof.
„Bei eisigen Temperaturen ist das Team unserer Stadtmission mit vier Kältebussen im Stadtgebiet unterwegs, sammelt Menschen ein, denen wir ein Obdach für die Nacht gewähren können oder verteilen eine warme Mahlzeit an Sie“, so Pfarrer Vorländer weiter. Die Menschen ohne Obdach sind gerade im Winter nicht nur in ihrer Gesundheit gefährdet sondern wegen der Kälte häufig akut in Lebensgefahr.
( für mehr Infos zu Kältehilfe der Stadtmission auf das Bild oder hier klicken)
Die aktuelle Corona-Pandemie macht die Sache für die ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helfer noch schwerer. Gerade bei der Notübernachtung, wo normalerweise 150 Personen über Nacht Schutz suchen können, ist die Kapazität derzeit auf 80 reduziert worden, um die Pandemieauflagen umzusetzen. Man merkt bei Ihrer Vorstellung des Projektes, dass es den Mitarbeitern sehr nahe geht, wenn sie die Menschen nicht aufnehmen können auch wenn sie diesen vielleicht noch einen Schlafsack oder warme Kleidung aus der hauseigenen Kleiderkammer mitgeben können.
Auch Obdachlosen, die sich mit Corona infiziert haben, kann auf dem Campus der Stadtmission geholfen werden. Durch die Kooperation mit der Deutschen Bahn Stiftung und der ehrenamtlichen Unterstützung von Berliner Ärzten, wird eine Quarantäneunterkunft betrieben.
Ein weiteres tolles Pilot-Projekt hat sich das Team der Stadtmission aus den Niederlanden und Großbritannien abgeschaut: Housing-First. Viele der Obdachlosen kamen erst in ihre schlimme Situation, nachdem sie beispielsweise Mahnverfahren und Versäumnisurteile erhielten und in der Folge strafrechtliche Konsequenzen erlitten hatten. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, wird es Menschen ohne Obdach hier ermöglicht mit einem eigenen Mietvertrag untergebracht zu werden und somit einen festen Wohnsitz anzumelden. Dies geschieht allerdings unter der Voraussetzung, dass die Betroffenen die ihnen angebotene professionelle Hilfe und Beratungen auch an- und wahrnehmen. Erst mit einer gemeldeten Adresse sind Vorgänge wie die Beantragung von Sozialleistungen oder eine einfache Kontoeröffnung überhaupt erst wieder möglich. Dies ist der erste Schritt weg von der Straße und zurück in die Gesellschaft.
Doch hier hört die Hilfe nicht auf, wie mir Pfarrer Vorländer auf dem gemeinsamen Rundgang berichtete: „Wir versuchen, wo es geht, Hilfe anzubieten. Von der Kleiderkammer über zwei Wohngemeinschaften für ehemalige Suchtkranke und was immer mehr Menschen betrifft: Beratung zum Thema Wiedererlangung einer Krankenversicherung.“
Gerade beim letzten Thema sei die Nachfrage so groß geworden, dass die Beratungskapazitäten der erst vor kurzem geschaffenen Clearingstelle nicht mehr ausreichen. „Für viele Menschen, quer durch alle Gesellschaftsschichten, besteht die große Gefahr, dass Sie Ihre, meist private, Krankenversicherung durch die stetig steigenden Beiträge nicht mehr zahlen können und so in einer Verschuldung landen oder keine Krankenversicherung im Alter mehr haben, da Sie meist nicht mehr von der gesetzlichen Krankenkasse aufgenommen werden. Schon jetzt sei diese Zahl der Betroffenen sehr hoch,“ so Pfarrer Vorländer weiter. Meiner Meinung nach ein massiver Fehler in unserem Sozialsystem, den man politisch begegnen muss, um die privaten Versicherer mehr in die Beratungspflicht zu nehmen, beispielsweise mit einem verpflichtenden Beratungsgespräch bevor man im Alter die Krankenkasse nicht mehr wechseln kann.
Durch die Vielfalt der Hilfsangebote und Möglichkeiten die sich in der Lehrter Straße konzentrieren, vermittelt die Umgebung einen Campus-Charakter und eine Atmosphäre in der man schnell auch soziale Wärme empfindet und merkt: hier wird den Menschen geholfen. Passend dem Motto der Stadtmission aus der Bibel: „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum Herrn“ – Jeremia 29,7 .
Ich wünsche Pfarrer Vorländer und seinem Team weiterhin viel Kraft für ihre so wichtige Arbeit.
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Deutscher Bundestag
Marcus Held
Platz der Republik 1
11011 Berlin