Zum Abschluss der letzten Sitzungswoche hat SPD-Bundestagsabgeordneter Marcus Held seine vierte Rede im Deutschen Bundestag gehalten. Thema der Debatte war der Antrag der Linken „Stromsperren gesetzlich verbieten“.

Das Video zur Rede können Sie auf Facebook unter folgendem Link abrufen: Hier zum Video

Folgend das offizielle Sitzungsprotokoll:

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Danke schön. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Marcus Held.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Marcus Held (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute fordern Sie von der Linken in Ihrem Antrag, Stromsperren gesetzlich zu verbieten. Im ersten Moment hört sich der Antrag ja ganz sinnvoll an; denn wir würden so sicherstellen, dass alle Menschen in Deutschland immer Zugang zur Teilhabe in allen Lebensbereichen hätten. Gleichzeitig würde das Verbot aber auch bedeuten, dass es ohne Sanktion bleibt, wenn man seinen Strom nicht bezahlt. Alle Menschen, die der Forderung ihres Energieversorgers nachkommen und ihre Rechnungen brav bezahlen, obwohl auch sie ihr Geld Monat für Monat zusammenhalten müssen, würden bestraft und würden sich fragen, warum sie eigentlich noch ordentlich ihren Pflichten nachkommen.

So zu argumentieren, wie Sie es tun, nämlich dass die Außenstände der Stromversorger bei den Kunden, bei denen eine Stromsperre verhängt wurde, in Höhe von 36 Millionen Euro in einem krassen Missverhältnis zu den Gewinnen der Stromversorger stehe, ist – das muss ich sagen – blanker Populismus. Dies ist deutlich zurückzuweisen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Ich gehe davon aus, dass Sie das Argument selbst nicht wirklich ernst nehmen, sondern eher versuchen, damit heute Abend in die heute-show zu kommen; denn nachvollziehbar ist es nicht wirklich.

Bei Folgendem sind wir beieinander: Wir brauchen Verbesserungen für sozial Schwache. Ich erlebe regelmäßig in meinen Sprechstunden als Abgeordneter, aber auch als ehrenamtlicher Bürgermeister – und das schon seit vielen Jahren –, dass Menschen zu mir kommen, vor mir einen Berg von Briefen auftürmen und sagen: Seit heute Morgen ist der Strom abgeschaltet. – Wenn wir dann gemeinsam die Briefe durchgehen, stellen wir fest, wie viele Mahnungen und Aufforderungen geschrieben wurden. Dann aber ist das Kind leider schon in den Brunnen gefallen.

(Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Das ist -genau der Punkt!)

Dann steht die Abschaltung entweder unmittelbar bevor, oder sie ist schon realisiert worden. Hier müssen wir ansetzen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen nicht allein bleiben,

(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie sorgen Sie denn dafür?)

dass sie im Kontakt mit den Behörden nicht überfordert sind und dass sie mit dem Energiedienstleister und den Sozialbehörden direkt in Kontakt treten können.

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Es sind mehr Menschen von Stromsperren betroffen; das ist richtig. Das hat aber auch damit zu tun – Frau Verlinden, Sie haben das angesprochen, aber nicht richtig zu Ende geführt –, dass wir in Deutschland viele Millionen Wohnungen haben, in denen Elektroheizungen betrieben werden. Durch entsprechende Preissteigerungen in den zurückliegenden Jahren haben sich die Kosten erhöht. Ich erinnere daran, warum diese Teuerungen eingetreten sind: insbesondere durch die EEG-Umlage, durch die erneuerbaren Energien und durch die Tatsache, dass wir nicht in Quartieren sanieren können, in denen die Leute heute schon kaum ihre Miete zahlen können. Sie fordern in Ihren Anträgen immer wieder eine Sanierung auch in diesen Quartieren; aber das müssen wir aus sozialen Gründen zurückweisen. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sabine Poschmann [SPD])

Bürgerinnen und Bürger mit geringen Einkommen – mein Vorredner hat das schon ausgeführt – sind in Deutschland schon heute abgesichert. Ihre Wärme- und Stromkosten werden im Bedarfsfall im Rahmen öffentlicher Leistungszuweisung übernommen. Wir brauchen aber eine gesetzliche Mitteilungspflicht für Energiedienstleister gegenüber den Sozialbehörden bei drohenden Zahlungsunfähigkeiten. Wenn man sich früh genug einschalten kann, kann man das Schlimmste verhindern. Das ist meine Erfahrung aus den Sprechstunden. Wenn ich den Kontakt hergestellt und die Menschen zum So-zialamt geschickt habe – ich spreche von meiner Praxis als Bürgermeister und Abgeordneter –, dann ist mir noch nie passiert, dass am Ende tatsächlich der Strom abgeschaltet wurde.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Kollege Held, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von den Grünen?

Marcus Held (SPD):

Sehr gerne.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage ermöglichen. – Sie haben gerade gesagt, dass die Kosten durch die Hartz-IV-Leistungen abgedeckt wären. Heizkosten werden tatsächlich, solange es angemessen ist, komplett übernommen. Bei den Stromkosten ist das anders; der Regelbedarf ist pauschaliert. Es gab am 9. September dieses Jahres ein Bundesverfassungsgerichtsurteil, in dem explizit gesagt wird, dass, wenn die Strompreise steigen, die Bundesregierung nachweisen muss, dass die vorgesehenen Kosten im Regelbedarf ausreichen, um die Strompreise zu decken. Gegebenenfalls muss der Regelbedarf entsprechend erhöht werden.

Da Sie nicken, kennen Sie das Urteil wahrscheinlich. Deshalb frage ich Sie erstens, wie die Bundesregierung bzw. die Große Koalition darauf reagiert, und zweitens, wann Sie den Regelbedarf entsprechend erhöhen werden, da der Teil, der im Regelbedarf dafür vorgesehen ist, häufig nicht ausreicht.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Vielen Dank, Herr Kollege Strengmann-Kuhn. – Bitte schön, Herr Held.

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Marcus Held (SPD):

In dieser Debatte geht es um die Frage, ob man Stromsperren vornehmen darf oder nicht. Dazu sage ich Ihnen: Wenn ein Bedürftiger den Strom nicht bezahlen konnte, aber zum Beispiel eine Ratenzahlung mit dem Energieversorger – im Zweifel auch über das Sozialamt – vereinbart hat, kam es noch nie zu einer Abschaltung. Natürlich müssen wir die Regelsätze entsprechend anpassen. Da bin ich völlig bei Ihnen; das werden wir als SPD auch fordern. Aber wir können nicht so tun, als wären die Regelsätze nicht hoch genug und aus dem Grund würde den Leuten in Masse der Strom abgestellt. Das ist falsch. Das ist auch deshalb falsch, weil diese mehreren Hunderttausend Abschaltungen, von denen der Antragsteller, die Fraktion Die Linke, spricht, keine Abschaltungen über Wochen oder Monate sind. Das sind im Zweifel Abschaltungen über ein paar Stunden, manchmal über wenige Tage hinweg, weil der Betroffene dann in der Regel

(Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Erst -reagiert!)

immer zu einer Regelung mit dem Sozialamt und dem Energieversorger kommt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Damit hätte ich auch schon eine Lanze für die Energieversorger gebrochen, was ich an dieser Stelle tun wollte, weil sie in der Regel eng im Verbund mit den Städten, den Gemeinden und den öffentlichen Trägern stehen mit entsprechend eingebauten Mechanismen. Mechanismen sind im Übrigen auch gesetzlich eingebaut. Es muss zunächst eine Erinnerung erfolgen, dann eine Abmahnung des Zahlungsrückstandes und schließlich eine Sperrandrohung, nach dem Gesetz vier Wochen vor der tatsächlichen Sperrung. Drei Tage vor dieser möglichen Sperrung muss noch einmal entsprechend erinnert werden, und dann kommt noch die Verhältnismäßigkeit ins Spiel. Deshalb kann ich das Beispiel meiner Vorrednerin nicht ganz nachvollziehen. Natürlich sind soziale Härten zu berücksichtigen. Wenn ein Stromanbieter das nicht tut – da bin ich bei Ihnen –, dann ist der Sache nachzugehen. Aber vom Gesetz her ist vorgesehen, dass hier die Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen ist.

Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten stehen dafür, dass Regelungen eingeführt werden, die einen noch besseren Schutz vor Strom- und Gassperren bieten, zum Beispiel durch den Einsatz intelligenter Stromzähler mit Prepaid-Funktion. Wir wollen aber auch, dass bei den Tarifgenehmigungen künftig beachtet wird, dass Grundversorgungstarife angemessen gestaltet sind und für alle Menschen, auch für sozial schwächere, erschwinglich sind. Wir wollen nicht, dass niemand mehr Konsequenzen erfährt, wenn er seinen Strom nicht bezahlt. Das wäre ein Freifahrt- bzw. Freistromschein für alle Kunden und damit der Niedergang der sozialen Marktwirtschaft. Kein Kunde müsste mehr fürchten, bei Nichtbezahlung seinen Strom abgeschaltet zu bekommen, würden wir dem Antrag heute folgen.

Sie haben das Beispiel Frankreich angesprochen. Dort ist der Strommarkt ganz anders organisiert. Dort gibt es von vornherein staatliche Zuschüsse und staatliche Betreiber, sodass das überhaupt nicht mit dem deutschen System vergleichbar ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Wir werden gemeinsam in der Koalition dafür sorgen, dass die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie der EU eingehalten wird und in Deutschland geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um den schutzbedürftigen Kunden einen noch angemesseneren Schutz zu geben. Wir wollen, dass sich Ehrlichkeit und eine gute Zahlungsmoral auch in Zukunft auszahlen und dass von staatlicher Seite geholfen wird, wenn es wirklich nicht mehr anders geht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)