05 Okt 2014
Oktober 5, 2014

Gute Laune und viel Arbeit – Eine Reportage

Gute Laune und viel Arbeit - Eine Reportage

BERLIN – Der Blick der jungen Frau vor dem Fahrstuhl wandert etwas verzweifelt von ihrer Uhr auf den Gebäudeplan und wieder zurück. Sie sieht verwirrt aus und ein bisschen verzweifelt. „Entschuldigen Sie, ich habe in fünf Minuten in Raum JHK 6.556 einen Gesprächstermin – und habe leider keine Ahnung, wo der sich befindet“, fragt sie den Mann, der neben ihr steht. Der kann ihr zum Glück helfen. „Einfach bis ganz nach oben fahren, der Raum ist am Ende des Ganges“, gibt er freundlich Auskunft. Die Mitarbeiter des Bundestages sind solche Situationen gewöhnt und die verwirrte Praktikantin, die sich in den Fluren des riesigen Gebäudekomplexes an der Wilhelmstraße verläuft, ist kein Einzelfall.

Mit Ende der Sommerpause, wenn die Abgeordneten aus ihren Wahlkreisen wieder nach Berlin zurückkehren, kommen auch Praktikanten in den Bundestag. Die Schüler und Studenten sind zu Besuch, um den Komplex Bundestag und Bundesregierung zu verstehen. Nicht nur die vielen Gebäude sind dabei überwältigend, sondern auch das Gefühl, ganz nah dran zu sein an der Politik und den Menschen, die sie machen. Statt im Fernsehen können sie den Ministern und Abgeordneten auf den Fluren jederzeit begegnen – zu Beginn kann man sich dabei schon einmal wie ein Groupie auf einem Konzert fühlen. „Schau mal, da ist Volker Kauder“ oder „Da telefoniert Thomas Oppermann“, raunen sie sich auf dem Weg durch den Reichstag zu.

Die drei jungen Rheinhessen, die im September im Büro des Abgeordneten Marcus Held arbeiten, sind alle politisch interessiert und wollen dem SPD-Politiker aus verschiedenen Gründen bei der Arbeit über die Schulter schauen. Die beiden Soziologie-Studentinnen Kim Scherer (21) aus Eich und Christina Ortloff (22) aus Oppenheim wollen die Verwaltung und Organisation der parlamentarischen Demokratie besser kennenlernen.

„Nachdem ich den Bundestag jetzt ein wenig kennengelernt habe, bin ich positiv überrascht von der lockeren Umgangsweise in dem Büro“

, sagt Christina Ortloff. Die Atmosphäre ist nett, aber arbeitsam und die Praktikanten merken schnell: Der Terminkalender von Held ist ziemlich voll, ein Tag im Betrieb der Bundesregierung kann ziemlich stressig werden. In den Sitzungswochen des Bundestages alle zwei Wochen treffen sich die Politiker in Berlin, um Anträge zu diskutieren und neue Gesetzentwürfe zu erarbeiten.

Da tagt das Plenum, an dem alle 631 Abgeordneten teilnehmen sollten, die verschiedenen Ausschüsse, zum Beispiel Wirtschaft und Energie oder Arbeit und Soziales und es gibt Arbeitsgruppen, in denen fraktionsintern Abstimmungen zu bestimmten Themenbereichen durchgeführt werden. Zwischen all diesen fixen Terminen trifft Held dann noch Vertreter aus der Wirtschaft und der Energiebranche, führt Gespräche mit Verbandsvertretern, Ehrenamtlichen und Aktivisten. Da es auch oft Termine am Abend gibt, die dem Austausch und der Bildung von Netzwerken dienen, kann so ein Arbeitstag schon mal 12 bis 14 Stunden dauern. Hinzu kommt natürlich noch die Vertretung des Wahlkreises im Bundestag. Täglich erreichen Held Anfragen von Bürgern aus Rheinhessen, die um seine Unterstützung bitten. Denn der Sozialdemokrat setzt sich natürlich auch in Berlin für die Bürgerinnen und Bürger aus seiner Region ein. Die Praktikanten begleiten Held bei seinen Terminen und im Büroalltag und erfahren so, wie vielfältig seine Aufgabengebiete sind.

„Ich finde es bewundernswert, dass Marcus am Abend nach einem stressigen Tag immer noch gute Laune hat und zu einem Spaß aufgelegt ist “, so Kim Scherer. Nach zwölf Stunden Sitzungen und Gesprächen kann der Abgeordnete spät am Tag immer noch mit weiteren Themen auseinandersetzen.

Um die Arbeit für den vielbeschäftigten Mann so einfach wie möglich zu machen, bedarf es einer effizienten Arbeitsteilung. Und ehe sie sich versehen, sind die Praktikanten mittendrin im Team des Sozialdemokraten: Plenum um zehn Uhr, Ausschuss um zwölf Uhr, danach Empfang bei einem Verband, später Fraktionstreffen, am Abend ein Sommerfest oder eine Ausstellung in der Landesvertretung. Der Politiker kann gar nicht all die vielen, interessanten Einladungen annehmen, auch wenn er gerne möchte. Das gibt den Praktikanten die Möglichkeit, eine Veranstaltung in seinem Namen zu besuchen und später zu berichten, was für die Arbeit des Abgeordneten wichtig sein könnte. Doch auch im Vorfeld bestimmter Termine dürfen die Praktikanten Held unterstützen. Sie verfassen zum Beispiel Essays, um ihm die Vorbereitung für die Sitzungen zu erleichtern. Da Held zum Beispiel im Ausschuss für Wirtschaft und Energie sitzt, befassen sie sich so am einen Tag mit den neuesten Entwicklungen beim Freihandelsabkommens TTIP zwischen den USA und Europa, am nächsten mit dem Vergaberecht oder der Sterbehilfe.

Auch Jurastudent Konstantin Günther (23) aus Nierstein bringt sein Wissen ein und pflügt sich durch dicke Gesetzestexte, um Held bei der Beantwortung juristischer Fragestellungen zu helfen.

„Mir gefällt es gut, dass ich selbstständig Aufgaben zur juristischen Recherche bekomme und lösen kann und mich somit mit meinem Wissen in die tägliche Arbeit eines Abgeordneten einbringen kann.“

Held ist selbst Jurist – wo er später selbst einmal arbeiten will, hat Konstantin noch nicht entschieden. „Aber es ist interessant für mich hier im Bundestag zu sehen, wie die einzelnen Schritte der Gesetzgebung in der Praxis, im Gegensatz zur gelehrten Theorie, aussehen.“

Der „Beruf“ des Politikers ist ein ganz spezieller – die die ihn ausüben haben sich ihm mit Leib und Seele verschrieben. Vier Wochen lang haben die Praktikanten einen guten Einblick in die Arbeit eines Abgeordneten und seiner Mitarbeiter erhalten. Ob sie sich nach dem Studium für eine Stelle im arbeitssamen Bundestag bewerben, bleibt abzuwarten.

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