Heute wird im Plenum des Bundestages über das „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ abgestimmt. Nach reiflicher Überlegung und in Abwägung unterschiedlicher Argumente, habe ich mich dazu entschieden, dem oben genannten Gesetzentwurf so nicht zuzustimmen.

Nachfolgend möchte ich meinen Entschluss in folgenden Punkten erläutern:

Punkt 1 – Kritik des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages und kein Parlamentsvorbehalt

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages stellt in einer Ausarbeitung zu den aktuell vorgelegten Änderungen des Infektionsschutzrechts (Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 256/20) fest:

„– So genannte Standardmaßnahmen, also konkrete Ermächtigungen für bestimmte Maßnahmen, werden nicht eingeführt. Stattdessen benennt der GE nur Regelbeispiele für Maßnahmen.

– Einige Formulierungen des GE entsprechen der Normenklarheit und -bestimmtheit nur bedingt. Das gilt etwa für die Unterscheidung von „schwerwiegenden“, „stark einschränkenden“ und „einfachen Schutzmaßnahmen“.

– Regelungen zur Berichtspflicht der Bundesregierung, Evaluierung und Befristung der Maßnahmen sind nicht vorgesehen.

– Die Beteiligungsmöglichkeiten des Bundestages am Erlass der Rechtsgrundlagen wurden nicht verbessert.“

Der Deutsche Bundestag hat in den zurückliegenden Jahren sehr viele Gesetze mit einer zeitnahen Evaluierung versehen und mit dem Gesetz verbundene Rechtsverordnungen häufig unter Parlamentsvorbehalt gestellt. Mit dieser Vorgehensweise habe ich bei meinen Berichterstattungen eigentlich immer gute Erfahrungen gemacht, weil die Praxis nach einiger Zeit bei der Bewertung neue Aspekte liefert und das Gesetz dann entsprechend verbessert und angepasst werden kann. Die Aufnahme einer solchen Regelung ist in den meisten wichtigen Gesetzen gängiger Standard und wäre das Mindeste, was man verlangen muss. Diese Kritikpunkte werden deshalb vom Wissenschaftlichen Dienst völlig zurecht angesprochen.

Punkt 2 – Die europäische Dimension

Ein weiterer Grund für die Ablehnung des Gesetzes in der vorliegenden Form ist für mich die europäische Dimension. Denn in Anwendung dieses neuen Gesetzes kann die Freizügigkeit innerhalb der EU faktisch außer Kraft gesetzt werden. Eine politische Errungenschaft, für die unsere Vorgänger über Jahre und Jahrzehnte gekämpft haben.

In §36 steht nämlich, dass ein ärztliches Zeugnis Pflicht sein wird, um gewisse Handlungen auszuüben. Unter einem ärztlichen Zeugnis ist in diesem Kontext nichts anderes als ein Immunitätsausweis zu verstehen, den faktisch aber kein Arzt ausstellen wird, ohne dass der Patient geimpft ist. Also bleibt den Betroffenen in der Praxis nichts anderes übrig, als eine Impfung vornehmen zu lassen.

Ich möchte Ihnen dies anhand eines kurzen Beispiels erläutern: Wenn also eine Familie aus Rheinhessen beispielsweise ihre Freunde in der französischen Partnerschaft besuchen will, muss diese bei der Rückkehr den Beweis an der Grenze erbringen, wenn sie dazu aufgefordert wird. Natürlich kann man einwenden, dass dies nur geschieht, wenn man sich in sogenannten Risikogebieten aufgehalten hat. Bei einem Wert ab 50 Infektionen pro 100.000 Einwohner wird es aber sicherlich noch längere Zeit so sein, dass ganz Europa ein Risikogebiet ist und damit faktisch die Reise- und Bewegungsfreiheit von Bürgerinnen und Bürger massiv eingeschränkt wird.

Wer es sich also wagen sollte, freitags zu seinen Freunden nach Frankreich aufzubrechen, müsste bei seiner Rückfahrt am Sonntagabend an der Grenze einen entsprechenden Nachwies vorlegen. Ist das wirklich der Zustand, der politisch erstrebenswert ist?

Der neue §28a besagt eindeutig, dass dieses ärztliche Zeugnis bei Grenzübertritt stichprobenartig polizeilich kontrolliert und mit den Reisedokumenten abgeglichen werden kann.

Auch zu anderen Beförderungsmöglichkeiten positioniert sich der Gesetzentwurf. So wird unter anderem festgehalten, dass wer mit Bahn, Bus, Schiff und Flugzeug nach Deutschland einreist, seine  Immunität vor der Beförderung nachweisen muss.

Es handelt sich um eine pauschale Ausweitung des Anwendungsbereichs des Gesetzes sowie eine fehlende zeitliche und sachliche Befristung der darin vorgesehenen Maßnahmen. Daran ändert auch die Regelung in §36 Abs. 12 nichts, wonach Rechtsverordnungen der Exekutive, die aufgrund dieses Gesetzes erlassen worden sind, spätestens mit Ablauf des 31.03.2021 ablaufen. Die Regierung ist jederzeit befugt, neue Rechtsverordnungen zu erlassen, das Gesetz richtet hier keine Schranken, zum Beispiel durch einen Parlamentsvorbehalt, ein.  

Die Reisefreiheit ist keine Selbstverständlichkeit, sondern musste in langen historischen und politischen Prozesses erkämpft und verteidigt werden. Die Befürchtung, dass ein Familienbesuch im Ausland oder ein partnerschaftlicher Austausch mit anderen Ländern jenseits des im Alltag Möglichen gerückt wird, scheint nicht unbegründet. Die ohnehin schon gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Kollateralschäden der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung werden damit nochmals multipliziert.

Punkt 3 – Kontrolle des Handelns der Exekutive

Des Weiteren ist bei einer Ausweisung der „Risikogebiete“ allein durch das RKI und die entsprechenden Ministerien eine unabhängige Kontrolle des Handelns der Exekutive nicht sichergestellt. Warum wird nicht beispielsweise eine interdisziplinäre Expertenkommission für diese Zuordnung eingesetzt, wie es sie für viele andere Themenkomplexe gibt? Auch die „digitale Einreiseanmeldung“ ist datenschutzrechtlich nicht ausreichend geregelt und könnte zu missbräuchlichen, wenngleich nicht intendierten Praktiken gegenüber den Bürgerinnen und Bürger verleiten. Die in § 14 Absatz 1 geregelte Zuständigkeit des Robert Koch-Instituts für den Datenschutz ist, mit Verlaub, alles andere als eine unabhängige Kontrollinstanz. Auch die in § 28 a aufgelisteten Grundrechtseingriffe bedürfen, wie vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages erläutert, einer präzisen, klar ausgearbeiteten Begründung für jede einzelne Maßnahme, unter welchen Bedingungen diese „verhältnismäßig“ seien.

Punkt 4 – Bessere Aufklärungsarbeit für die Bevölkerung und offenere Diskussion

Neben diesen inhaltlichen Aspekten ist in der Bevölkerung eine sehr intensive Auseinandersetzung  über die Konsequenzen dieses Gesetzentwurfs entstanden. Ich bin kein prinzipieller Gegner einer Impfpflicht. Als Vater von zwei Kindern habe ich beispielsweise mit großer Überzeugung die  Impfpflicht gegen Masern unterstützt und die Debatten darüber aktiv verfolgt. Diese Entscheidung halte ich nach wie vor für wichtig und richtig. Eine solche offene Diskussion über die Sinnhaftigkeit einer Impfung gegen CoVid-19 und den damit verbundenen Vor- und Nachteilen benötigen wir jetzt auch, wenn wir die Bevölkerung tatsächlich in sehr weiten Teilen überzeugen und auf dem Weg der Pandemiebekämpfung mitnehmen wollen. Zwänge und Entscheidungen „von oben herab“ führen dabei sehr schnell zu genau der umgekehrten Reaktion vieler Menschen in unserem Land, denn die Bürgerinnen und Bürger wollen aus innerer Überzeugung handeln.

Wenn bei der Bevölkerung auch nur der Eindruck entsteht, es gebe eine Impfpflicht durch die Hintertür, wird der Deutsche Bundestag als Entscheider unglaubwürdig und verliert unnötig viele Menschen an das Lager der Verschwörungstheoretiker und Demokratiefeinde. Allein die Tatsache, dass dieser Gesetzentwurf in derart vielen Punkten den politischen Extremen breite Argumentationsräume für massive Propaganda und Verschwörungstheorien eröffnet, sollte nicht nur mich nachdenklich stimmen. Der Deutsche Bundestag sollte sich die Zeit nehmen, notwendige Änderungen in das Gesetz einzubringen und die dauerhafte Einbeziehung des Deutschen Bundestages zu garantieren. Dem Gesetzesentwurf in der aktuell vorliegenden Form kann ich jedenfalls meine Zustimmung aus Gewissensgründen nicht geben.